Dieser Artikel erschien in PianoNews, 2015,3 und wurde in einer Compilation diverser Profile des Magazins im Buch Format herausgegenen.
Und mehr als das: Gilbert, der in der New Yorker Musikwelt eine führende Rolle spielt, liess Barnatan eine aussergewöhnliche Position zukommen: im März diesen Jahres spielt der Pianist Ravels Klavierkonzert in G-Dur mit den New Yorker Philharmonikern unter der Leitung von Alan Gilbert. Dies ist nicht nur Barnatans Debut mit dem Orchester, sondern gleichzeitig Startschuss für das neue Musikerlabel der New Yorker Philharmoniker, “Artist-in-Association.”
Als erster Solist in der Geschichte der New Yorker Philharmoniker (und meines Wissens jeglichen Orchesters von Weltrang) wurde Barnatan im Rahmen dieses Programms für eine Reihe von Konzerten und Kammermusikterminen, die sich über drei Konzertsaisons erstrecken, unter Vertrag genommen.
Für Barnatan kam Gilberts Angebot aus heiterem Himmel: “Ich fühle mich sehr geehrt, der erste Künstler zu sein, der für eine derart bedeutende Position ausgewählt wurde”, sagt der Pianist.
Ist es sonst eher üblich, verschiedene Solisten pro Saison vorzustellen, so beweisen Gilbert und sein Team mit ihrem Programmansatz, dass ihre Mission, eine tiefere Verbindung zu den jeweiligen Künstlern schaffen zu wollen, nicht nur Lippenbekenntnis ist. Über die neue “Artist-in-Association” – Reihe hinaus bezieht sich ihre innovative Planung auch auf das bereits etablierte “Composer-in-Residence” – Programm.
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Vor allem Nachwuchskünstlern bietet dieser Ansatz ein Kontinuum an gesicherten Auftrittsmöglichkeiten, was wiederum eine grössere Publikumsnähe entstehen lässt; zudem ermöglicht kontinuierliches Arbeiten dem Künstler, mit einem breiteren Spektrum an musikalischem Können risikofreudiger umzugehen.
“Normalerweise hat man sehr wenig Zeit, sich auf ein Debut vorzubereiten”, sagt Barnatan, “und bis man dann wieder eingeladen wird – und das lässt sich auf Grund bereits bestehender Terminabsprachen meist in kaum weniger Zeit als drei Jahren im Voraus planen – hat einen das Publikum bereits vergessen.” Genau an diesem Punkt setzt das Konzept an; hier geht es um das Kreieren interessanter Perspektiven, und nicht um den Neuigkeitseffekt eines Solisten – ein Anliegen, das Gilbert vor allem im Bereich zeitgenössischer Musik schon länger verfolgt.
Barnatan weiss es zu schätzen. “Die New Yorker Philharmoniker bieten mehr als nur zeitgenössische Musik – sie bieten eine ganze Biennale”, lobt er.
Foto: Marco Borggreve
“Ich habe in letzter Zeit sehr viel in New York gespielt”, sagt er. “Es ist schon erstaunlich, dass ich in dieser “dog eats dog” – Stadt schon sehr früh grosse Unterstützung gefunden habe.”
Zu seinen wichtigsten Kontakten der ersten Stunde zählt Barnatan neben dem Direktor der Rockefeller Konzertserie John Gerlach, der ihn zu seinen ersten New Yorker Konzerten einlud, vor allem die Musikdirektorin des New Yorker Kulturzentrums 92Y, Hanna Arie-Gaifman. Als regelmässiger Gast der 92Y-Konzertreihe trat Barnatan seit 2009 unter anderem im Rahmen des Janáček – Kundera-Fests des Cleveland Orchesters und des dreijährigen Zyklus der Beethoven-Streichquartette zusammen mit dem Tokio String Quartet auf.
Im Dezember 2012 dann brillierte er mit Werken von Debussy, Adès, Britten und Ravel, die auch auf seiner CD “Darkness Visible” zu finden sind; die New York Times setzte die CD auf ihre Bestenliste für das Jahr 2012.
Kurz danach folgte Barnatans Version der Schubert- Sonaten in C-Moll D958 und A-Dur D959 auf dem Avie-Label (einschliesslich seines liebevollen Impromptu in G-Moll D899, No. 3); das Magazin Grammophone lobte Barnatans “Sensibilität, Ausgeglichenheit und Fokus”, und nannte den Pianisten einen “geborenen Schubertianer”. Bereits im Jahre 2006 hatte Barnatan mit dem “Schubert Recital” auf dem Bridge Label seine besondere Affinität für den Komponisten unter Beweis gestellt.
Und 2009 – nach drei Jahren mit der Gruppe junger Musiker der Chamber Music Society des Lincoln Centers (CMS Two) – fungierte er als Ko-Kurator des CMS-Schubert-Projektes, das es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Schuberts kammermusikalisches Spätwerk zu erkunden; anschliessend nahm der Pianist an internationalen CMS-Konzerten teil. “Inon ist voll und ganz Musiker; er ist engagiert und sehr interessant. Er hat jetzt schon Grösse und entwickelt sich weiterhin; es ist ein Vergnügen, mit ihm zu arbeiten”, kommentiert Gaifman ihre Erfahrung mit Barnatan.
Kyril Zlotnikov, der Cellist des Jerusalem Quartets, schwärmt geradezu von seiner Zusammenarbeit mit Barnatan: “Die erste Kollaboration des Quartets mit Inon war vor etwa 12 Jahren an der London Royal Academy of Music. Seither ist es immer wieder ein grosses Vergnügen für mich gewesen, mit ihm zusammenzuarbeiten. Er ist sehr sensibel, feinsinnig und flexiblel, und ein äusserst kompetenter Musiker mit sehr viel Geschmack; vor allem kann er zuhören, und diese Eigenschaft schätze ich am meisten an ihm. Es macht einfach Spass, mit Inon Musik zu machen, und ich hoffe, dass wir noch oft die Gelegenheit haben werden, zusammen zu spielen.”
Barnatan vergleicht seine Auftritte als Pianist gern mit der Arbeit eines Schauspielers: “Die Arbeit des Musikers wie die des Schauspielers besteht darin, eine Rolle auszufüllen, aber gleichzeitig hinter der Rolle zu verschwinden und den tieferen Sinn des Materials herauszuarbeiten und zu vermitteln”, sagt er.
Und in der Tat ist der nuancierte Ausdruck eines Schauspielers mit seinen fast unmerklichen Details und seiner expressiven Palette durchaus mit dem Handwerk eines Pianisten vergleichbar. Um eine genau abgestimmte Koordination zu ermöglichen, bedarf es einer Choreographie der Bewegungsabläufe durch ein kontrolliertes Verteilen des Körpergewichts.
Nur so kann die emotionale Kraft und der Charakter der Klangbilder, die das jeweilige Werk eines Komponisten und die ganz spezifische Interpretation durch den Pianisten erforderlich macht, projiziert werden.
Nicht ohne Grund wird das klassische Repertoire der Meisterwerke immer wieder und durch eine Vielzahl an Pianisten vorgestellt: jede Aufführung ist einmalig und was die feinen Unterschiede betrifft, gleichen keine zwei Aufführungen einander.
Es bedarf endloser Suche, um den Charakter eines Werks, der sich selten ausschliesslich in der Partitur offenbart, zu entdecken und so zu einer adäquaten Interpretation zu gelangen. Einem Filmdrehbuch nicht unähnlich definiert eine Partitur lediglich eine Ausgangsposition; bei der Aufführung des Werks ist es Aufgabe des Pianisten, eine überzeugende Richtung vorzugeben und die richtige Balance zwischen führenden und sekundären Stimmen auszuloten, und das alles ohne “replay” – ein wahrlich meisterliches Unterfangen.
Barnatan erwähnt einige der Meister, die ihn auf seine Aufgabe vorbereitet und seine musikalische Vision geformt haben, allen voran Maria Curcio, selbst letzte Schülerin Arthur Schnabels in Italien und Nadia Boulangers in Paris. Auf der langen Liste der Pianisten, denen sie mit ihrem Können zur Seite stand, finden sich neben Barnatan Namen wie Martha Argerich, Radu Lupu and Leon Fleisher.
“Ursprünglich wollte ich mit 17 Israel verlassen und in die USA gehen, wo ich mich bereits für Juilliard, Curtis, und Peabody beworben hatte”, erinnert sich Barnatan.
“Nach meiner Rückkehr nach Jerusalem sollte ich für Curcio spielen, sie musste aber absagen und hat mich dafür eine Woche nach London eingeladen. Ich war derart beeindruckt von ihr, dass aus der einen Woche ein Umzug nach London wurde; da arbeitete ich dann mit dieser Grand Dame des Klaviers. Sie war einfach unglaublich”, sagt Barnatan. “Sie verkörpert den Geist Schnabels, und obwohl sie nie selbst als Auftrittskünstlerin Karriere gemacht hat, repräsentiert sie eine wundervolle Musikalität, eine wahre Verbindung von Klang und Wissen.”
Ganz besonders schätzt der Pianist, dass ihm die grosse Mentorin beibrachte, verschiedene Klangbilder ins Leben zu rufen und so seine Klangpalette um viele Farben zu bereichern.
“Sie hat mich gelehrt, alles in meinem Arsenal zu nutzen, um zu spielen, als wäre man die erste Person, die das Stück je gespielt hat.”
2000 traf Barnatan beim Ravinia Music Festival in Illinois den Pianisten und Pädagogen Leon Fleisher, auch er ein entscheidender Einfluss auf den jungen Pianisten. Der Schnabel/Curcio-Alumni sagte ihm: ‘Wenn du tausend verschiedene Klangbilder anstrebst, musst du auf tausendfache Weise spielen.’
Im Rahmen des Festivals arbeitete Barnatan auch mit Lehrern wie Miriam Fried, Claude Frank und Menahem Pressler, und spielte zum ersten Mal mit der jungen Cellistin Alisa Weilerstein.
“Alisa und ich hatten denselben Manager; der brachte uns zusammen und arrangierte 2008 unsere erste Rundfunk-Live-Übertragung.”
Barnatan erinnert sich gern an seinen ersten Auftritt mit der dynamischen Cellistin: “Wir hatten nicht allzu viel Zeit, zusammen zu proben, aber alles ergab sich ganz natürlich. Wir waren uns in jeder Hinsicht einig und es gab einfach eine grossartige Chemie zwischen uns. Die Radioaufnahmen fanden bei einem der grossen Sender statt, und nachdem wir mit den Aufnahmen fertig waren, meinte ein Journalist, dass unser Spiel offensichtlich das Resultat langjähriger Zusammenarbeit sei – woraufhin Alisa ohne mit der Wimper zu zucken antwortete: ‘Ja, ganze eineinhalb Jahre’.”Foto: Jamie Jung
Vier Jahre nach Ravina 2000 und kurz vor seinem Carnegie Hall-Debut spielte Barnatan dann eine der letzten Schubert-Sonaten für Fleishers Carnegie Hall-Meisterkurs.
Im Publikum sass der damalige Senior Director und Artistic Advisor der Carnegie Hall, Ara Guzelimian. Er war von Barnatans Talent derart angetan, dass er ihn dem Cellisten und Artistic Director der Chamber Music Society des Lincoln Center, David Finckel vorstellte, was wiederum zu Barnatans Engagement mit der Chamber Music Society Two führte.
2007 brachte Barnatan zusammen mit der Violinistin Liza Ferchtman eine Duo-CD mit Werken von Schubert und Beethoven beim Label Challenge Classics auf den Markt. Die gute musikalische Chemie zwischen den beiden Künstlern wurde als Tour de Force des Ensemble-Spiels gelobt.
Entschlossen, die wenige Zeit, die ihnen angesichts ihrer anspruchsvollen Solo-Karrieren blieb, ausschliesslich füreinander zu nutzen, entwickelte sich auch Barnatans Zusammenarbeit mit Alisa Weilerstein weiter.
“Wir treten nicht zu oft zusammen auf; normalerweise planen wir eine Europa-Tournee pro Jahr ein, und eine in den Vereinigten Staaten, aber wenn wir dann zusammenkommen, fliesst unser Zusammenspiel so natürlich wie beim ersten Mal”, sagt Barnatan.
Kürzlich nahmen die beiden in Berlin die Chopin- und Rachmaninoff-Sonaten für das Decca Label Teldex auf; das Album wird noch dieses Jahr auf dem Markt erwartet.
“Das Repertoire ist schwierig und könnte durchaus zu Problemen bei der Zusammenarbeit führen, doch dank unserer Dynamik ging alles sehr glatt”, sagt Barnatan.
In einer nach neuen Ikonen hungernden Industrie zeigt die Erfolgskurve der beiden steil nach oben; so wurde zum Beispiel Alisa Weilersteins Decca CD des Elgar und Elliott Carter Cello Concerto unter der Leitung von Daniel Barenboim als “BBC Album of the Year 2013” ausgezeichnet.
Es scheint, dass Barnatans Einblicke in und Verständnis für die Rolle des Schauspielers diesem Balanceakt bereits die nötige Hilfestellung geben.
“Es ist schon ein bisschen paradox – bei diesem ganzen Karriere-Kram dreht es sich ja angeblich um den Künstler”, sagt der mittlerweile in Harlem ansässige Barnatan. “Ich habe jedoch ganz stark das Gefühl, dass es bei einem Musiker nicht wirklich um die Person geht”.
Es ist diese Nachdenklichkeit und Bescheidenheit, die Barnatan so sympathisch macht.
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