Photo:Ilona Oltuski
Nikolai Lugansky
Zufolge einiger „Pianoexperten“, die Nikolai Luganskys jüngstem Auftritt von Rachmaninoffs Klavierkonzert Nr. 3 in D Moll, Opus 30 in der Avery Fischer Hall beiwohnten, wurde geurteilt, er hätte nicht genug Gefühl gezeigt. Obwohl Lugansky das Konzert neben dem ‘New York Philharmonic’ unter der Leitung von Charles Dutoit mit äußerster technischer Perfektion spielte, beschwerten sich einige Kritiker: “Er war zu schnell!” “Es war zu kalt, zu mechanisch,” und “nicht üppig genug – und Rachmaninoff kann so unheimlich üppig sein!” so lauteten einige Kommentare innerhalb der New Yorker Gemeinde von Konzertbesuchern, von denen die meisten selbst mit unterschiedlichem Vermögen Klavier spielen. Kritik aus den eigenen Reihen sollte man sicherlich nicht auf die leichte Schulter nehmen, obwohl ich mich darüber wundere, warum ich das Konzert so anders als viele dieser Kritiker erlebt habe. Nach dem Stück schien der Applaus auch des allgemeinen Publikums total hingerissen zu sein. Das Konzert fand am 2. November statt, in der Folgezeit von Sandy, dem Sturm der viele Regionen im Gebiet der drei Bundesstaaten New York, New Jersey und Connecticut, in dem sich der Großraum New York befindet, verwüstete und die Hälfte von Manhattan ohne Elektrizität und ohne U-Bahn Verbindungen hinterließ und dennoch trotzten viele Konzertbesucher den stürmischen Launen der Natur aus Respekt vor dem Vermächtnis von Dutoit und dem von Lugansky, für den dies sein Debütauftritt in New York war; war es vielleicht wegen dieser psychologisch zerbrechlichen Situation, dass New Yorker nach einer emotional berührenderen Resonanz suchten? Der Konzertsaal war keineswegs in seiner Kapzität ausgelastet und vielleicht trug das ein bisschen zu der “kalten Akkustik” bei und dämpfte das Vermögen eines Klavier üppig zu klingen, eine Situation, die von Lugansky selbst bei unserem Treffen am nächsten Morgen kommentiert wurde. Vielschichtig verflochtene Verspätungen in die Stadt aufgrund des eingeschränkten Nahverkehrs und der Elektrizität machten es erforderlich, dass einige der Orchesterspieler ersetzt werden mussten. Charles Dutoit, der zusätzlich zu einigen Teilen seines Personals einige Probezeit verlor, glaubte, dass es notwendig wäre, das Programm zu ändern. Anstatt mit Claude Debussys Le Martyre de Saint Sébastien, gefolgt von Rachmaninoffs Rhapsody on a Theme by Paganini für Piano und Orchestra, Op 43, wurde das Publikum mit einer wohl-eingespielten und stürmischen Overtüre zu Glinkas Rusian and Ludmila (1842) bergrüßt. Lugansky und Dutoit hatten mehrmalig an Rachmanioffs Konzert zusammengearbeitet und es bot sich so unter den gegebenen Umständen als selbstverständlich an. Lugansky selbst hätte es nicht rechtzeitig geschafft, wäre nicht sein Freund gewesen. Beide hatten sic
h bemüht, einen nicht geschlossenen Flughafen in Hartford, Connecticut zu finden, um eine Verbindung zu bekommen. Er beeilte sich den Auftrittskünstler zum Flughafen in Florida zu bringen, so dass er nicht im ‘Sunshine State’ strandete. Zum Glück war Lugansky in der Lage, bei der einzigen Probe am Donnerstag anwesend zu. “Ich hatte gerade Paganini geübt, als eine Nachricht von Dutoit kam – „wir werden das Dritte Klavierkonzert spielen,” erläutert Lugansky in seiner ruhigen, ernsthaften, professionellen Art und Weise – schließlich gibt er jährlich 100 Konzerte. “Wir waren gerade zwei Wochen zuvor damit in Boston zusammen aufgetreten.” Mir war ganz klar, besonders bei Rachmaninoffs Drittem Klavierkonzert, dass Luganksy keine Mühe scheut, die Aufnahmen vom Meister selbst zu studieren, wobei er glaubt, dass es unmöglich ist, diese selbst zu kopieren. Sicherlich folgt er den Hinweisen von Rachmaninoffs notierten Tempi, die immer sehr rasch waren,” wie Lugansky bemerkt- wirklich schien er das Orchester bei der Aufführung etwas antreiben zu wollen. Lugansky bewundert auch die Interpretationen des gleichen Konzerts von Argerich und Kissin, ein Konzert das natürlich jeder Pianist sehr persönlich interpretiert. Das Konzert, das im Jahre 1909 für den gefeierten Pianisten Josef Hofmann komponiert wurde, ist dafür bekannt, unglaublich, wenn nicht gar technisch gesehen, monströs schwierig zu sein, wie das Programmheft auch andeutet. Lugansky, der sein amerikanisches Debüt im Jahre 1996 beim ‘Hollywood Bowl’ als Valery Gergievs Solist während dessen Kirov Tournee hatte und der neben
vielen anderen den russlandweiten Rachmaninoff Wettbewerb im Jahre 1990 gewonnen hatte, ist auf jeden Fall mit allen Nuancen Rachmaninoffs Pianismus bekannt und seine Interpreatation keineswegs willkürlich getroffen. Lugansky erhielt ebenfalls den Preis der Deutschen Schallplattenkritik und den Echo Klassik 2005 Preis, für seine Aufnahmen von Rachmaninoffs Konzert Nr. 1 und 3. Diesen September veröffentlichte Lugansky Rachmaninoffs zwei Klaviersonaten auf dem Naïve – Ambroise Label, auf das sich der Künstler vor Kurzem verplichtet hat. Das Konzert selbst hatte ursprünglich in New York seine Premiere mit der damaligen ‘New York Symphony’, bevor sie sich im Jahre 1928 das ‘New York Philharmonic’ verschaffte und sich mit diesem zusammenschloss. Natürlich wurde es vom Komponisten selbst uraufgeführt, worauf Rachmaninoff immer bestand. Solche historischen Maßstäbe bleiben auch heute relevant, wir bewerten selbst die extravagantesten zeitgenössischen Auftritte daran, wie sie sich mit den Originalen vergleichen. Für Lugansky macht der Charakter der Musik alles aus; was am Ende zählt, ist die emotionale Bedeutung eines Werkes. Er glaubt, dass besonders dieses Konzert “eines der am schönsten geschriebenen Klavierkonzerte ist. Es ist voller Symbolik, wie ein Roman von Tschechow. Besonders das Finale ist, als ob sich der Himmel öffnen würde, die dunklen Kräfte verschwinden, fast gleich nach dem Angriff, Glocken verkünden die lebensbejahende Freude – seine gottgegebene Offenbarung. Es ist eine große Freude, dieses sehr pianistisch geschriebene, wundervolle Stück zu spielen:” Es gibt natürlich unterschiedliche Weisen, wie man wirkungsvoll spielt. Rachmaninoff wird immer Rachmaninoff sein: als zweifaches Genie; als Komponist, sich etwas auszudenken und seine wundervolle Botschaft aufs Papier zu bringen war er göttlich, und als Auftrittskünstler blieb er sich selbst treu. Es gibt einige Auftrittskünstler, die immer Qualitäten besitzen werden, die sie unmißverständlich einzigartig machen werden; sie bestechen durch bestimmte Techniken und Aspekte ihres Auftrittes und sie werden immer einen besonderen Stil haben, unabhängig davon, welchen Komponisten sie spielen. Glenn Gould war großartig, als er Bach, Scriabin, Schoenberg spielte; man konnte immer Gould darin erkennen, wenn er die Werke dieser Komponisten spielte und sein Publikum liebte ihn dafür. Ich habe zum Ziel, mehr wie die andere Art von Auftrittskünstler zu sein, der aus intellektuellem Antrieb agiert.
Nach dem Konzert mit der New York Philharmonic im Greenroom
Ich sehe Michelangeli als einen von ihnen, der fortwährend mit dem Auftritt eines jeden Komponisten das Rad neu erfindet. In seinen Auftritten gibt es weniger von ihm und mehr vom Komponisten selbst und jedes Mal war sein Stil unterschiedlich. Vielleicht ist das der Grund, dass er weniger Repertoires als seine Zeitgenossen spielt, aber jeder Auftritt war einzigartig für sein Verständnis eines bestimmten Komponisten.“ Und er spielte mit einer Brillianz die meiner Meinung nach schwer zu übertreffen sein dürfte, und, wenn auch keineswegs sentimental doch voller Dynamik. Lugansky sagt mir auch, dass er immer ein extrem schnell in seinem Studium war: ”Das erste Mal, als ich Rachmaninoffs Drittes Konzert spielte, spielte ich es für meine Lehr
erin an der Zentralen Musikschule.” Lugansky war zu dieser Zeit 19 Jahre alt und er lernte es in drei Tagen. “Ich war von diesem besessen,” meint er. In meinen Augen ist es ihm sicherlich gelungen, Rachmaninoffs Drittem Konzert seine eigene, stilistisch präzise und individuelle Interpretation zu geben. Ich empfand, dass er es mit seinem Auftritt schaffte, die tiefgehende Emotion mit einer versierten, technischen Leichtigkeit zu vermitteln. Ich genoß die Wirkung von unauffälligem Minimalismus sehr, sebst wenn es sich von der süßen Üppigkeit unterschied, die andere offensichtlich zu hören erwarteten.
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