Photo: Julien Quentin, Medici-Tv Ich hatte ihn gerade in Verbier getroffen, wo er im fünften Sommer hintereinander bei diesem angesehenen Musikfestival aufgetreten war. Vor zwei Jahren war er bei ihrem besonderen Fest die “Nacht der Pianisten“, das verschiedene Generationen von versierten Pianisten vorstelle, u.a. Emanuel Ax, Nelson Goerner, Yuja Wang. Der künstlerische Leiter des Festivals Martin Engstroem war auf Quentin aufmerksam geworden, als er seine Aufnahme mit dem Klarinettisten Julian Bliss aus dem Jahre 2004 gehört hatte.
Quentin bestätigte den positiven Eindruck, den ich selbst von Verbier mit nach Hause gebracht hatte (siehe ebenfalls meinen Artikel Musikgiganten in Verbier):”Verbier ist wirklich ganz besonders, indem all die Starkünstler gern das Spiel spielen … alt und jung, alle teilen die Bühne miteinander und es gibt solch ein musikalisches Feuerwerk.” In Paris geboren, wuchs Quentin in Genf auf, wo seine Eltern die “Librairie Quentin,” eine Buchhandlung für Kenner betrieben, die sich auf seltene Manuskripte und Kunstbücher spezialisierte.
Er besuchte sowohl die örtliche Schule in Thonon, wo er das französische Bakkalaureat als auch das Konservatorium in Genf, wo er bei dem russischen Klavierpädagogen Alexis Golovine studierte.
Es war durch diesen Lehrer, dass Quentin Martha Argerich kennenlernte, die zu dieser Zeit in Genf wohnte. Er beschreibt, wie er der Aufnahme von Golovine zuhörte, der Repertoire für zwei Klaviere mit Argerich spielte und wie das ihn unglaublich inspirierte.
Quentin freundete sich mit Argerichs Töchtern an, von denen zwei, Stephanie und Lyda, noch in Genf wohnen, während Argerich selbst nun in Brüssel lebt.
Er beschreibt das faszinierendste Treffen mit Nikita Magaloff, einem von Argerichs engsten Freunden und einer bedeutenden musikalischen Leitfigur. “Einmal, als ich Nikita zuhause besuchte, ließ dieser mich für ihn spielen. Er gab mir einige Ratschläge, aber wichtiger noch, er bestätigte, dass ich genug Talent hätte, um mit der Musik mein Leben zu bestreiten. Das war für mich ein entscheidender Punkt, der mir Selbstvertrauen gab, den Weg weiterzuverfolgen, von dem ich immer geglaubt hatte, er wäre etwas für mich. Es ist ein wundervolles Gefühl, wenn man weiss, was man im Leben möchte. Als ich aufwuchs, wussten viele Freunde nicht, was sie [im Leben] erreichen wollten und mussten sich selbst finden. Ich bin ganz normal aufgewachsen umgeben von Sport, Kunst und Literatur. Wenn meine Eltern Druck auf mich ausübten, galt das mehr meinem allgemeinen Lernen als der Musik. Ich hatte erst im Alter von zwölf Jahren in Thonon mein erstes richtiges Konzert. Dann gleich darauf im Rostropovich Auditorium in Evian und seitdem haben mich die Sirenen der Bühne verfolgt.” Julien Quentin bei Verbier Photo: Marc Shapiro
Quentin setzte seine Studien in den USA fort, wo er das Studium mit Emile Naoumoff an der Indiana University mit einem Künstler-Diplom und dann im Jahre 2003 sein Studium bei György Sándor bei Juilliard in New York mit einem Graduierten-Diplom abschloss.
Er gewährte viele Einblicke , z.B. warum es so wichtig ist, die Individualität eines jeden Pianisten zu verstehen und was für ihn persönlich am besten funktioniert: “Jeder Pianist hat bestimmte Fähigkeiten und macht unterschiedliche Erfahrungen und lernt auf ganz einzigartige Weise. Vieles hängt von individuellen Vorlieben ab, aber auch von Dingen, wie beispielsweise der deiner eigenen Disziplin. Auch ist jeder physisch anders beschaffen, was auf die besonderen Fähigkeiten und die Art und Weise, wie man am besten funktioniert, Einfluss hat. Für mich persönlich ist es so, dass ich stundenlang auswendig lernen kann, aber das physische Spielen am Klavier über mehere Stunden hintereinander hinweg fiel mir nicht so leicht, wie es bei einigen anderen der Fall ist,” meint Quentin. Er erinnert sich, wie er einst mit Argerich darüber sprach, wie sie soviel in nur so kurzer Zeit erreicht hatte und zitiert ihre Worte:”Ob man eine Woche, einen Tag oder eine Minute braucht, was zählt, ist das Ergebnis.”
“Am Ende geht es nur darum, was du machen kannst und darum, was Dir den Antrieb gibt,” meint Quentin. “Man muss den Willen dafür aufbringen, da es sich um eine einsame Tätigkeit handelt, sonst kann man jede Art des großartigen Musizierens vergessen. Aber ob es ein oder zwei konzentrierte Stunden üben sind oder zehn, was meistens meine physische oder mentale Toleranzgrenze übersteigt, ist bei jedem Pianisten anders.
Es gibt auch verschiedene Wege zu üben, die er mit den Worten des Pädagogen Heinrich Neuhaus’ beschreibt:”man kann am Klavier mit der Partitur und mit der Partitur ohne ein Klavier üben, oder ohne Partitur und ohne Klavier,” was ich tatsächlich viel tue. Diese Art mentaler Übung funktioniert bei mir wirklich gut, es gibt einem ein besseres Verständnis über die musikalische Bandbreite der Partitur. Es ist eine sehr abstrakte Form des Lernens, aber zwingt einen dazu, sich im Geiste eine ideale musikalische Linie oder die führende Melodie einzuprägen, wozu man oft keine Konzentration hat, wenn man alles physisch erarbeitet. Wenn man an Dirigenten und Komponisten denkt … das ist oft wie sie ein besseres Gesamtbild gewinnen.”
Quentin, dessen Technik von der Presse als superb befunden wurde, versucht dem zu folgen, was er als natürlichen Ansatz der sogenannten russischen Schule beschreibt, worauf ihn sein erster Lehrer aufmerksam machte und die ihn dazu befähigt, in seiner eigenen Wertschätzung kurz gesagt, mehr zu erreichen mit weniger zu tun. Diese Technik ermuntert den Pianisten, mit dem Unterarm statt von den Fingern selber ausgehend zu führen und dies mühelos und effizient. Man kann das hervorbringen der melodischen Linie anhand der Gewichtsverteilung des Vorderarms unterstützen.
Große russische Lehrer reisten viel nach Europa und Amerika, besonders mit dem Fall des Eisernen Vorhangs, aber sogar zuvor. Es mag sein, dass er sich beim virtuosen russischen Repertoire des 20. Jahrhunderts selbst zuhause und damit vertraut fühlt, (neben seinen russischen Lehrern sind die Wurzeln seiner Mutter sind polnisch-russisch, jüdisch) eine Tradition beeinflussten, die auf große Pädagogen wie Neuhaus zurückgeführt werden kann.
Aber Quentin ist auch ein Kind seiner Umgebung und Zeit. Er nahm den französischen Impressionismus in sich auf und macht sich die Neue Musik zu eigen besonders seit seiner Zeit New York.
Nach seinen amerikanischen Jahren an der Universität war ihm die Club-Szene seiner Generation nicht fremd. “Plattenteller, allwöchtliche Shows in Bars und Lofts, Jam Sessions und Electro Jazz standen immer auf dem Programm; das Abmischen der Musik, andere Musiker zum Zusammenspielen war eine sehr soziale Erfahrung. Ich habe es ungemein genossen. Einfach nur zu sehen, wie Freunde im Publikum untereinander interagieren würden, war für mich etwas, was mir die Augen und Ohren geöffnet hat. Dies war eine erfrischende Erfahrung, in der Kreuzungen zwischen zwei Welten enstehen ließen. Das Unterstützen neuer Komponisten ist fast eine Pflicht eines jungen Auftrittskünstlers. Dabei handelt es sich um Kompositionen des alltäglichen Lebens, genauso wie es vor einem Jahrhundert oder zwei der Fall war. Ich bin immer daran, verschiedene Arbeiten miteinander zu verbinden und für das Zusammenwirken verschiedener Techniken und Kunstformen.“
Berlin, das er wegen seinem aktiven musikalischen Leben liebt, wurde zu Quentins jüngsten Ort seiner Wahl, was ihm erlaubt, mit neuen Kombinationen gepaarter Konzerte klassischer und neuer Musik zu experimentieren. Er mag es, Live-Effekte mit dem Piano zu verwenden und diesen elekronischen Schleifen und Hintergrund und Beats hinzuzufügen und entwickelt so seine eigene musikalische Mischung, die mit Leichtigkeit auch Improvisation am Klavier umfasst und den Laptop dabei auch mit einbringt.
Er liebt Berlin aufgrund all der Möglichkeiten, die es bietet, und am meisten wegen seines besonderen Charmes und aufgrund seines etwas langsameren Tempos. “Keine Eile — wo immer ich auch hingehe, habe ich Freunde, die auftreten und nun schätze ich mich wirklich glücklich, da alle Arbeit via e-mail oder Telefon zu mir kommt. Dieses Youtube Video zeigt Julien mit einem seiner begeisterten, häufigen Mitstreiter, dem Violinisten David Garrett, wie sie mit Rimski-Korsakows “Hummelflug” Spaß haben.
Hummelflug Seine nächsten Gigs sind in Planung: Er würde gern seine eigenen Electro Tracks produzieren und daher steht er beispielsweise mit dem amerikanischen Komponisten/Produzenten Justin Messina und dem britischen Produzent Martin Wheeler (alias Vector Lovers) in Verbindung, um bei zukünftigen Prduktionen zusammenzuarbeiten. Weitere Jam und Studio Sessions mit unterschiedlichen Künstlern aus der elektronischen Musik- und Jazz Szene stehen in den nächsten paar Wochen in Berlin auf dem Terminkalender.
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