Ich war dann auch keineswegs überrascht, als ich Jahre später erfuhr, dass ihre Konzertaufnahmen, die nach ihren Auftritten mit Bachs Goldberg-Variationen im März 2005 und ihrem Debut in der Weill Recital Hall der Carnegie Hall im November 2005 entstanden waren, äußerst erfolgreich waren. Kürzlich hatte ich die Gelegenheit, mich mit Simone Dinnerstein zu unterhalten. Wir trafen uns bei “Sweet Melissa”, einem kleinen Brooklyner Restaurant in der Nähe der Schule ihres Sohnes.
Kürzlich hatte ich die Gelegenheit, mich mit Simone Dinnerstein zu unterhalten. Wir trafen uns bei “Sweet Melissa”, einem kleinen Brooklyner Restaurant in der Nähe der Schule ihres Sohnes. “Meine Karriere war weniger geplant als dass sie einfach passierte”, erzählte sie mir. “Die Goldberg-Variationen waren ein grosses Project. Ich musste nicht nur mit Hilfe meiner Freunde das Geld für die Aufzeichnung beschaffen, sondern ich musste auch einen Produzenten finden, und dann ein Tonstudio. Motiviert hat mich die Tatsache, dass ich mit den Goldberg-Variationen bereits über mehrere Jahre hinweg öffentlich aufgetreten war. Ich fühlte, dass ich einen individuellen Beitrag leisten konnte, und wollte das auch dokumentieren. Ich hatte zu der Zeit keine Ahnung, wohin mich das alles führen würde.” Sie fährt fort: “Ich wusste nicht, ob sich ein Label finden liesse. Dann bearbeitete Adam Abeshouse die Goldberg-Arie und die ersten fünf Variationen, und stellte die Aufzeichnung ein paar Leuten in der Musikindustrie vor. Plötzlich wollte man mit mir reden. Wo immer es schwierig gewesen war, meinen Fuss in die Tür zu bekommen, wollte man mich nun ‘live’ hören.” Ein ihr bis dahin unbekannter Musikliebhaber aus Israel war bereit, ihr erstes Konzert zu sponsern, und dann lernte Dinnerstein Tanja Dorn von IMG Artists kennen, die später ihre Agentin werde sollte. Ihre Karriere nahm ihren eigenen unverhofften Verlauf. Trotzdem: Dinnerstein bleibt mit beiden Beinen fest auf der Erde. Auf die Frage, wie sie mit der Tatsache klarkommt, als Ehefrau und Mutter gleichzeitig den Anforderungen einer sich rapide entwickelnden Karrriere genügen zu müssen, sagt sie mir: “Ich werde immer nach meinem Sohn gefragt. Für meine männlichen Kollegen scheint diese Frage weit weniger Gewicht zu haben, obwohl es unter ihnen viele Väter gibt, die sich ganz bewusst dafür entschieden haben, in ihrer Karriere kürzer zu treten, um mehr Zeit für ihre Kinder zu haben. Diese Situation scheint für Frauen immer noch konfliktreicher zu sein.Und sie fügt hinzu: “Natürlich ist es sehr wichtig für mich, mit meiner Familie zusammen zu sein. Was meine Abwesenheit von zu Hause betrifft, versucht mein Manager, auf mich einzugehen. Ich bin nie länger als zwei Wochen unterwegs. Ich versuche ausserdem, meine Zeit genau einzuteilen, in Zeit für meine Privatsphäre mit meinem Mann und Sohn, und in Zeit für Proben und Konzerte. Das Schwierigste ist, immer da voll präsent und fokussiert zu sein, wo man gerade ist. Es ist leicht, sich ablenken zu lassen, und obwohl wir Frauen angeblich gut im ‘Multitasking’ sind, ist es eine ständige Herausforderung, die richtige Balance zu finden.”
Dinnerstein spricht über die verschiedenen Methoden, die sie ausprobiert hat, um für die Bewältigung ihrer täglichen Anforderungen Hilfe zu finden – Yoga und Meditation zum Beispiel. Aber sie räumt ein, dass es “letztendlich immer darauf ankommt, wie man mit dem psychologischen Druck umgeht, und dass man notwendigerweise effektiv delegiert.”
Es sei sehr hilfreich, dass ihr Mann Lehrer an der Schule ihres Sohnes ist, meint sie, und dass sie sich so wenigstens keine Sorgen darum machen muss, wie ihr Sohn in die Schule kommt, wenn sie auf Reisen ist. “Trotzdem muss ich erst einmal loslassen, und das ist nicht immer einfach. Es ist immer ein Kompromiss.”
Ihre ausgeprägte Persönlichkeit und ihr Realitätssinn machen Simone Dinnersteins ausgesprochen bodenständigen Charakter aus. Und genau so möchte sie auch gesehen werden. Ihre eher zurückhaltende Art zeigt sich auch bei ihren Auftritten. “Ich kleide mich gern leger für meine Konzerte”, meint sie. “Dramatische Abendkleider finde ich etwas antiquiert.”
Bei ihrem Debut in der Avery Fisher Hall am 7. Juli diesen Jahres trug sie eine schwarze Hose und eine ärmellose violette Bluse. Ihre bescheidene Gardarobe und ihr freundliches Auftreten taten jedoch der Intensität ihrer Darbietung, die sie sämtliche musikalische Gesten auskosten liess ohne je überdramatisch zu wirken, keinerlei Abbruch.
Meine Londoner Lehrerin, die Schnabel-Schülerin Maria Curcio, mit der ich eine kurze Zeit arbeitete, war sehr ‘körperbetont’, und hat auch Aspekte der Alexander-Technik in ihren Unterricht integriert”, erklärt mir Dinnerstein. “Ich bin sehr entspannt am Klavier; ich fühle meinen Körper, wenn ich spiele.”
“Es muss eine totale Verbindung zwischen Technik und Musik geben”, sagt sie. Im heutigen Konservatorium liegt der Schwerpunkt auf Technik als Fazilität. Manche Studenten entwickeln sich erfolgreich mit dieser Methode; meine Stärke war das nie. Für mich muss der musikalische Ausdruck die treibende Kraft hinter der technischen Finesse der Aufführung sein.” Vielleicht ist es das, was den Guardian dazu bewegte, Dinnerstein als ‘wirkliche Musikerin’ zu bezeichnen, und nicht nur als Pianistin.
Gibt es Dinge, die sie bezüglich ihrer Karriere bedauert? “Ich frage mich, was passiert wäre, wenn ich etwas länger bei Maria Curcio geblieben oder früher zu ihr gegangen wäre. Aber was immer geschieht, geschieht aus gutem Grund. In vielerlei Hinsicht bin ich eher eine Spätentwicklerin. Ich habe mich langsam zu mir selbst hin entwickelt.” Und genau das vermittelt Dinnerstein bei ihren Auftritten.Als eine ihrer wichtigsten Erfahrungen an der Juilliard School nennt sie die Begeisterung, mit der sie bei Peter Serkin studiert hat, und auch ihre Auftritte mit dem ‘New Juilliard Ensemble’ und ‘Focus’, was wiederum zu einer wunderbaren Zusammenarbeit mit dem Cellisten Zuill Bailey führte. Die gemeinsame Aufnahme von “Beethoven: Complete Works for Piano and Cello” ist 2009 bei Telarc erschienen.
Ihre unvergesslichsten Aufführungen? “Wenn das Publikum anerkennend, und nicht übersättigt reagiert”, sagt sie. “Manchmal ist es überraschend, wo das passiert. Ich komme gerade von einer Aufführung im Wiener Konzerthaus, und hatte erwartet, dass das Publikum dort sehr viel steifer ist. Zu meinem Erstaunen waren die Zuhörer auf sehr persönliche Weise engagiert. Während ich spielte, herrschte konzentrierteste Stille, und dann gab es enthusiastischen Beifall.
Sie erwähnt auch ein Konzert, das sie kürzlich in einem Frauengefängnis in Baltimore gegeben hatte, und spricht darüber, wie dankbar das Publikum war, und wie dessen Aufmerksamkeit ihren Auftritt so viel bedeutsamer für sie gemacht hatte. “Es beruht eben alles auf Gegenseitigkeit”, sagt sie.
With cellist Zuill Baley
Wenn sie nicht auf Konzerttournee ist, kann es sein, dass man Simone Dinnerstein und ihre Musikerfreunde an der Schule ihrer Nachbarschaft antrifft. Sie möchte dem Problem schwindender Zuhörer, vor allem unter jungen Leuten, etwas entgegensetzen, und sie möchte Menschen zusammen bringen. Zur Zeit arbeitet sie daran, ihr Konzept auf weitere städtische Schulen auszuweiten. “Ich geniesse es, wenn Musiker auf Augenhöhe mit ihrem Publikum sind. Das macht Auftritte viel natürlicher”, sagt sie. “In meiner Nachbarschaft gibt es viele Leute, die nie zu einem Konzert gehen, sei es, weil sie keinen Babysitter haben, oder weil die Anfahrt zu lang ist – was immer das Problem sein mag. Hier können sie ihre Kinder mitbringen, und die wachsen dann mit klassischer Musik auf.”Und abschliessend meint sie: “Musik sollte fester Bestandteil einer jeden Gemeinschaft werden.”
Man kann ihr da nur zustimmen. Wohltemperiert aus New York verbleibe ich herzlichst : Ilona
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