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Sir Andràs Schiff - Brückenbauer für die Pianisten der Zukunft



Der Meister in seiner Hotel Suite in New York - Foto Ilona Oltuski

Andràs Schiff, in Ungarn geboren und im Gulasch-Kommunismus aufgewachsen, Pianist von Weltrang, Weltbürger, kritischer Geist und jetzt Förderer der nächsten Generation junger Pianisten: Zwischen zwei Carnegie Hall Auftritten erzählt der von der Queen 2014 zum Sir geadelte Meister von seiner neuen Leidenschaft. Von Ilona Oltuski   Dieser Artikel erschien in PianoNews, Juli/August 2015


Ein konzertfreier Tag zwischen zwei grossen Auftritten in New Yorks Carnegie Hall. Andras Schiff hat es sich in seiner Hotelsuite an der New Yorker Upper East Side gemütlich gemacht. Auf dem Steinway-Flügel Noten einiger seiner Lieblingskomponisten – Haydn, Beethoven, Mozart und Schubert. Die Spätwerke der Wiener Klassiker stehen dieses Jahr auf dem Programm seiner Konzertreisen, die ihn von Europa in die Vereinigten Staaten und nach Kanada führen werden. Auf dem Zenit seiner Popularität hat der 61-jährige keineswegs die mühsamen Zeiten der Aufbauphase seiner Karriere vergessen. Dies mag ein Grund sein, warum er sich der Förderung von Nachwuchstalenten verschrieben hat. Gleichzeitig erscheint ihm das derzeitige Angebot an Möglichkeiten für junge Künstler verbesserungswürdig. „Ich bin kein grosser Anhänger pianistischer Wettbewerbe“, sagt er und räumt gleichzeitig ein, selbst an Wettbewerben teilgenommen zu haben. „Damals war es die einzige Möglichkeit, Konzerte zu bekommen und in die Öffentlichkeit zu treten. Wenn man den Preis gewann, waren damit eine Menge Möglichkeiten verbunden. Doch heute gibt es kaum noch  Veranstalter, die es schaffen, den errungenen Sieg tatsächlich mit ausreichend bedeutenden Konzerten zu belohnen. Es gibt dann viele Gewinner, die von einem Wettbewerb zum nächsten ziehen, ohne eine nachhaltige Auswirkung auf den Aufbau ihrer Karriere zu erzielen. Deshalb ist es natürlich nicht genug, Wettbewerbe zu kritisieren; man muss andere Wege finden, dieses Dilemma anzugehen und vor allem alternative Lösungen anbieten.“

Wie man weiss, führt die Struktur der Wettbewerbe und die Erwartungshaltung, mit denen sich die jungen Künstler konfrontiert sehen, oft genug dazu, dass Nachwuchsmusiker zu Lasten der Kunst auf Nummer sicher gehen. Im Gegensatz dazu sieht Schiff das frei vom Künstler gewählte Konzert. Hier könne ein Pianist erst wirklich zeigen, aus welchem musikalischen Holz  er oder sie geschnitzt ist. 

„Im Konzert sollte man spielen, was man liebt“, sagt Schiff. „Das muss dann über die Pflichtübung hinausgehen. Emotionales und Intellekt müssen sich das Gleichgewicht halten und ich finde, dass das Instinktive in der Musik zu einem Anteil von etwa 60 zu 40 dominieren sollte. Man muss studieren und analysieren, aber dann auch wieder integrieren. Das Publikum will keine Analyse hören, sondern mitgerissen werden. Es geht sozusagen darum, kontrolliert loszulassen; Risiko muss dabei sein und das erfordert eine gewisse Courage. Wenn der Pianist andererseits kein klares Konzept verfolgt, gibt es Anarchie und das hört man auch. Kontrolliertes Riskieren lernt man erst mit der Erfahrung des Aufführens: Das besteht dann aus einer Mischung der fixierten Elemente der Interpretation und den improvisierten Nuancen der Wiedergabe, die auch immer den etwas unterschiedlichen raumakkustischen Bedingungen entsprechen. Vor allem aber ist Musik auch immer ein Spiel, und da höre ich den Menschen; man kann sich nicht selbst verleugnen. Das Menschliche und das Persönliche ist in der Musik immer ausschlaggebend.“




Adam Golka mit seinem neu gefundenen Mentor. Foto Ilona Oltuski


Und Rabinovitch schwärmt: “Andras Schiff verkörpert den Höhepunkt künstlericher Integrität und ist ein leuchtendes Beispiel für alle Musiker. Seine Unterstützung war unschätzbar und bedeutet mir unglaublich viel.“ Die Auftritte der Reihe finden in kleineren, intimen Konzerthallen statt, wie in der Residenz des „Institut Francais“ in Berlin und im „Subculture“ in New York, einem legeren und ‚cool’ gehaltenem, alternativen Vorstellungsraum in Manhattans Downtown. Sagt Schiff: „Die Charakterzüge eines Künstlers kommen beim Spielen durch: egoistische Tendenzen etwa, oder übertriebene Selbstdarstellung lassen sich sofort in der Art der pianistischen Wiedergabe erkennen. Als Pianist ist man zwar sehr bedeutend in der Rolle, die Werke des Komponisten erklingen zu lassen, aber wir müssen auch als Interpreten innerhalb des vom Komponisten gesetzten Rahmens bleiben – sonst werden wir zum Verbrecher! Da gibt es für mich nichts zu debattieren.“ Eine derartig eindeutige Forderung überträgt Schiff auch auf andere Kulturbereiche, wie etwa das zeitgenössiche Theater. Kürzlich warf er den Regisseuren deutscher Produktionen vor, es an Respekt bei der Umsetzung von Originalwerken mangeln zu lassen. Er selbst sieht seine Aufgabe darin, das Verständnis und die Möglichkeiten derjenigen Talente zu fördern, die seine Liebe zur Tradition teilen. Und da scheint das Interesse der jungen Generation in der westlichen Welt eher spärlich zu sein: „Trotz hervorragender Ausbildungsmöglichkeiten in europäischen und amerikanischen Institutionen setzt sich nur ein Bruchteil der Studenten aus der einheimischen Bevölkerung zusammen; fast neunzig Prozent der Musikschüler reisen heutzutage aus Asien an,“  sagt er und beklagt ein ähnliches Desinteresse an Konzertbesuchen und klassischer Musik ganz allgemein. Einen Hoffnungsschimmer sieht er in der zunehmenden Anzahl junger Instrumentalisten, die neue, interessante Werke komponieren: “Ich selbst habe kein Talent zum komponieren, aber ich bewundere die junge Generation, von denen viele nicht nur hervorragend spielen, sondern auch das Feld der neuen Musik mit ihren eigenen Kompositionen bereichern. Da gibt es eine echte Rückkehr zum Komponisten/Pianisten des 19. und 20. Jahrhundert, ein überaus interessantes Phänomen.“ Eines dieser Talente ist der 27-jährige Juilliard-Alumnus Michael Brown; der US-amerikanische Pianist und Komponist und frisch gebackene Preisträger des renommierten Avery Fisher Career Development Grants wird in Schiffs nächster Konzertrunde mit dabei sein. Etwas was Schiff seinen Schützlingen ganz besonders ans Herz legen möchte ist das Vertrauen in die Kunst. Claudio Arrau sagte einmal zu einem jungen Pianisten: “Haben Sie keine Angst langweilig zu sein! Verkrampft interessant oder originell sein zu müssen – das wird langweilig.“ Schiff meint, dass grosse Musik einfach Respekt verdient, und dass es da keinerlei übertriebener Gewichtung bedarf.

“Die Komponisten der Klassik geben einem viel Freiheit, die muss man wahrnehmen und dazu gehört auch viel Mut; da steht nicht alles in den Noten. Mich selbst nennt man oft altmodisch; zum Beispiel wenn ich beide Hände mit kleinen zeitlichen Verschiebungen voneinander benutze. Ich mache das sehr häufig, ich empfinde es einfach stilistisch korrekt und angenehm, während die meisten Pianisten beide Hände völlig akurat synchronisiert spielen. Aber dies ist eine Tradition, sich Freiheiten einzubauen, die selbst bis hin zu Bartòk bekannt ist; er selbst spielte Akkorde arpeggiert, obwohl sie als ein Akkord notiert waren – und man kann ja wohl nicht behaupten, er hätte nicht gewusst wie er seine Musik zu spielen hätte.“ Ein Künstler und Mensch wie Schiff, dem Kultur allgemein und besonders die pianisitische Tradition derart am Herzen liegen, fühlt natürlich auch ein gewisses Verantwortungsgefühl dafür, wie es weiter gehen soll und wie Traditionen erhalten werden können.

Mit seinem persönlichen Einsatz in Sachen Nachwuchsförderung leistet er einen Beitrag, dessen Bedeutung heute schon gewürdigt wird. Das Ausmass der wahren Ernte lässt sicher noch ein paar Jahre auf sich warten, aber eines ist fast schon sicher: Andràs Schiffs Vermächtnis wird in seinen Schützlingen aus aller Welt weiterleben …

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