Richard Wagners zweihundertster Geburtstag in diesem Jahr war und ist Gegenstand einer ganzen Reihe kultureller Aktivitäten. Einer der interessantesten Beiträge ist Hilan Warshaws Dokumentarfilm “Wagners Juden”. Overtonefilms
Die Wagner Society of New York präsentierte den 55-minütigen Film kürzlich am Barnard College der renommierten Columbia University in New York. Hauptgegenstand des Films sind Wagners Beziehungen zu den jüdischen Mitgliedern seines Kreises. Der Dokumentarfilm wurde in Deutschland, Italien und der Schweiz gedreht und stellt jüdische Künstler vor, die zu leidenschaftlichen Anhängern des Komponisten wurden, und eine kritische Rolle für dessen Erfolg spielten.
Es mag überraschen, dass Wagner sich mit jüdischen Künstlern und Freunden umgab, hatte er doch durch die Veröffentlichung seiner zutiefst antisemitischen Schrift unter dem Titel “Das Judenthum in der Musik” keinerlei Zweifel daran aufkommen lassen, wie sehr er die Juden verachtete. Filmautor Warshaw erläutert, dass es jenseits der Betroffenheit seiner jüdischen Anhänger und Unterstützer über die Schrift genau dieser Antisemitismus war, der oftmals zu einer geradezu pervertierten gegenseitigen Abhängigkeit zwischen Wagner und seinen jüdischen Freunden führte. Es besteht wenig Zweifel darüber, dass Wagner die tiefstliegendsten Verletzlichkeiten seiner jüdischen Freunde ins Visier nahm. “Wagner umgab sich nicht mit Juden, obwohl sie Juden waren, sondern weil sie Juden waren”, sagt Warshaw. Und er fährt fort: “Wissenschaftler, die Wagners intensiven Antisemitismus angesichts seines Umgangs mit Juden in Frage stellen, übersehen viele der Nuancen dieser sehr speziellen Beziehungen. Der Angstfaktor motivierte die Psyche des deutschen Judentums, das gerade erst seine politische Unabhängigkeit gewonnen hatte, und seine kulturelle Gleichstellung erst noch unter Beweis stellen musste; dies zu einer Zeit, in der sich der Antisemitismus verschärfte. Wagner nutzte den Eifer der Juden, sich zu beweisen, schamlos aus, und ‘erlaubte seinen Juden’, sich selbstlos für seine Interessen einzusetzen. So durften sie Partituren kopieren und Gelder beschaffen, und somit ihren Beitrag zur deutschen Kultur leisten.”
Viele junge jüdische Musiker wurden zu glühenden Anhängern Richard Wagners, und trugen nicht nur zur Verbreitung seines Werkes bei, sondern sorgten auch dafür, dass die finanzielle Grundlage seines Schaffens gesichert war.
Unter ihnen waren Künstler wie der hochbegabte junge Pianist und Komponist Carl Tausig, sowie der Orchesterdirigent und Komponist Hermann Levi, Sohn eines Rabbi, der seinen Vater dazu drängte, Mitglied der Wagner-Gesellschaft zu werden. Levi widersetzte sich jedoch Wagners Forderung, zum Christentum überzutreten, und drohte, dessen Mission nicht länger zu unterstützen. Der Bariton und Theaterintendant Angelo Neumann machte sich europaweit mit Wagnerinszenierungen einen Namen, und der junge Joseph Rubinstein, viele Jahre lang Teil der Familie Wagner, nahm sich nach Wagners Tod das Leben.
Stellungnahmen heutiger Künstler zu Wagners Antisemitismus fallen oft differenziert aus. So meint der jüdische Star-Pianist Evgeny Kissin in Christopher Nupens Holocaust-Film “We Want the Light” (2004), dass “… ein Talent oder Genie und dessen Persönlichkeitsmerkmale einfach nicht dasselbe [sind].” Und Zubin Mehta, Dirigent des Israel Philharmonic Orchestra, gibt zu bedenken, dass ein Verzicht auf Wagner – Wegbereiter von Komponisten wie Bruckner, Mahler und Schönberg – dem Genuss von Früchten eines Baums, dessen Wurzeln man ignoriert, gleichzusetzen ist. (ebenfalls in Nupens “We Want the Light”). Andererseits respektiert Mehta die Gefühle der Generation von Überlebenden des Holocaust.
Sein formales Musikstudium gab Warshaw eine emotionale Distanz zur Person Wagners, und er lernte, Wagners Kreativität zu schätzen.
“In gewisser Hinsicht denkt Wagner wie ein Filmkomponist”, sagt Warshaw. “Seine dramatische Vision ist eine Art Vorläufer der Filmkunst. Wagners Opern sind niederschmetternd für mich, und ich mache mir keine Illusionen darüber, dass sein Antisemitismus tief im Konzept seiner Kunst verankert ist. Das beunruhigt mich, und muss mich beunruhigen. Aber das ist der Preis, den ich für den Genuss seiner Musik zahle.”
Natürlich gab es auch andere Komponisten, die antisemitische Ansichten vertraten, wie Chopin. Wagner war in dieser Hinsicht jedoch schonungslos offen, und stellte ausserdem eine politische Figur dar.
Der Film thematisiert auch die Wagner-Politik Israels. Obwohl es keinen offiziellen politischen Kodex gibt, der Wagner-Aufführungen verbietet, ist es Musikern und Dirigenten wie Daniel Barenboim, Zubin Mehta und anderen bisher nicht gelungen, Wagners Werk weiten Kreisen von Israelis zugänglich zu machen; dies im Gegensatz zu israelischen Rundfunksendern, wo Wagners Musik oft gespielt wird. Eine vehemente Opposition beruft sich auf grössere und übergreifende Themen, und es scheint, dass viele Israelis den Neinsagern das Wort erteilt haben.
Der Beginn dieses Konflikts reicht in das Jahr 1938 – das Jahr der Kristallnacht – zurück. Damals war eine Aufführung von Wagners Overture zu “Die Meistersinger von Nürnberg” des späteren Israel Philharmonic Orchestra abgebrochen worden; weitere Aufführungen wurden ebenfalls verhindert. Die Nürnberger Rassengesetze und die Erinnerungen an das gnadenlose Dröhnen von Wagner-Musik aus den Lautsprechern deutscher Konzentrationslager, von denen Überlebende des Holocaust berichteten, führten dazu, dass Wagner aus allen Konzertprogrammen gestrichen wurde…
Selbst die Tatsache, dass viele Wagner-Experten und aufführende Künstler sowie deren Fangemeinde Juden sind, und ein gewisser Jonathan Livny 2011 einen Wagner-Verband in Israel gründete, konnte den Aufschrei der Presse anlässlich der Bayreuth-Reise des Israel Chamber Orchestra unter Roberto Paternostro im Jahre 2011 in keinster Weise mindern.Interview Roberto Paternostro
Warshaws Film kann und will nicht alle Fragen zu diesem komplexen Thema beantworten. Der Film setzt jedoch eine Diskussion in Gang und gibt Musikliebhabern und anderen Interessierten Anstösse zu eigener Reflektion. “Das Ziel ist nicht, lediglich die Anklage oder die Verteidigung zu vertreten, sondern es geht um die Darstellung des gesamten Prozesses,” sagt Warshaw.
“Wagner’s Jews” wurde am 19. Mai auf ARTE gesendet; der WDR wiederholt den Film am 18. November 2013.
In den USA wurde der Film bisher an den Universitäten von Yale, Boston und Columbia, sowie am Simon Wiesenthal Center in New York gezeigt, in London am Barbican Centre und am London Jewish Cultural Centre.
In den USA wird der Film von First Run Features vertrieben.
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